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- Kenia 09.06. - 17.06.2007
- "Bildungsreise KiD-Kindergarten"
- Von Nikias Linder
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Heute, 2 Monate später, liege ich,
mit einer Entzündung im rechten Auge, im St. Jürgen Krankenhaus in
Bremen. Zum Zeitpunkt meiner Einlieferung war ich im Stress der
Zeit, und so kam ich mir bei meiner Einlieferung vor, als fiele ich
in die Schwerelosigkeit. Bis auf das endlose Gerede des Bettnachbarn
und der Tatsache, dass die unfreundliche Schwester schon wieder die
zweite Milchpackung zum Kaffee vergessen hat, gibt es hier keine
Probleme. Es ist geradezu erleichternd. In meinem quadratischen
weißen Raum scheint die Zeit still zu stehen und meine Gedanken
können in Ruhe in alle möglichen und unmöglichen Bereiche
vordringen. Es dauert nicht lange, da muss ich auch an Afrika und
unseren damit verbundenen Urlaub denken, oder besser der
"Bildungsreise KID-Kindergarten".
- Es trifft mich wie ein Schlag. Direkt
an die Schläfen meines, sich wie eine zerquetschte Melone
anfühlenden, Schädels. Es ist 6 Uhr Morgens, am Sonntag den
10.06.07. Unglaublich, noch vor 24 Stunden lag ich auf meiner
Luftmatratze im Garten eines Freundes und fragte mich, was zum Geier
letzte Nacht passiert war. Doch jetzt, nach ca. 8 quälend langen
Stunden Flug, befinde ich mich ca. 7.000 Kilometer entfernt, auf dem
Rollfeld des Flughafens von Mombasa. Das
tropische Klima erschlägt meinen Vater und mich förmlich mit der
Nachricht, dass wir, in einer anderen Welt, angekommen sind.
Nach der bestimmt sehr aufregenden
Fahrt zum Hotel, die ich leider verpenne, geht es direkt zur Kirche.
Etwa 30 Gemeindemitglieder, überwiegend Mütter und Kinder, sitzen
auf Holzbalken, die auf den mit einem Tuch überhangenden Holzaltar
ausgerichtet sind. Dicke Holzbalken halten das Wellblechdach. Eine
Seite der Kirche ist offen, ein Huhn kuckt um die Ecke. Der Boden
besteht aus harter Erde. Die Predigt ist laut und ein echtes
Schauspiel für uns disziplinierte Deutsche. Jedenfalls glaubte ich
zu diesem Zeitpunkt noch, dass "wir" die Disziplinierten
sind. Die Kinder albern herum, ab und zu geht jemand raus oder es
kommt jemand herein. Die Diakone starren gegen die Wand oder lesen
in irgendwelchen Büchern. Kurz um, es ist ein buntes Spektakel.
Nach dem Gottesdienst werden Hände
geschüttelt. Viele Hände geschüttelt. Es gibt da anscheinend so
ein afrikanisches Ritual, bei dem diejenigen, die die Kirche
verlassen, vor dem Eingang stehen bleiben, um den Nächsten, der die
Kirche verlässt, zum Abschied die Hand zu schütteln. Dieser
wiederum bleibt ebenfalls stehen und wartet auf den Übernächsten.
Durch dieses System kommt man nicht umher allen einmal die Hand zu
schütteln. Dieses System mag ja ganz gut funktionieren, aber da ich
diesem noch nicht vertraut bin und immer wieder kleine Kinder sich
an mir vorbei oder auch durch mich durch drängen wollen, endet es
für mich in einem heillosen Durcheinander. Verwirrt verirrt,
inmitten von dunklen Händen und Gesichtern.
Am nächsten Morgen geht es zum
Kindergarten. Gestern war es schon schön das Gelände zu
besichtigen, doch heute ist es noch viel besser, denn die Kinder
sind da. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie verbreiten diese
Kinder Freude. Und man kommt nicht darüber hinweg sie
"süß" zu finden. Ich finde Kinder nie "süß".
Kinder sind meist laut, anstrengend, sie sabbern und nerven, aber sie
sind nicht "süß". Diese schon! Vielleicht liegt es an
ihren Uniformen, der Hautfarbe oder es ist einfach die Wärme, die
meinen Kopf zermartert. Ein schönes kühles Pils würde mit
Sicherheit Abhilfe schaffen. Stattdessen bekomme ich das Mittagessen
der Kinder, Reis mit Bohnen.
Danach führt uns Heinz Isbrecht mit
dem Fahrrad nach Ukunda. Einen nahe liegenden Ort. Heinz braucht
eine Luftpumpe und will uns bei der Gelegenheit auch gleich noch
einen Teil der Stadt zeigen. Einen Teil, "der sonst nie von
Touristen besichtigt wird". Ich kann mir schon vorstellen warum
hier nie ein ahnungsloser Touri vorbeikommt. Die hart sandige
Einkaufsstraße ist schmal. Vielleicht 2 Meter. Rechts und Links
gehen kleine, enge Läden und Gassen ab. Aus dem dunklen Inneren
dieser Läden drehen sich mehrere Augenpaare in unsere Richtung.
Weit und breit ist keine große Straße in Sicht und weiße Haut
schon gar nicht. Ich würde das was ich empfinde nicht als Angst
bezeichnen. Nein, ich habe keine Angst. Es ist nur eine ganz normale
Reaktion auf eine ungewohnte Situation, ein ungutes Gefühl in der
Magengegend. Wir sind schon die Attraktion der Kleinstadt, doch als
wir dann auch noch stehen bleiben und Heinz sein Geld aus seiner
Hose holt, sind wir hoffnungslos umringt von Menschen. Wie sie
verkünden, sind alle schwer krank, arbeitslos, können nicht zur
Schule gehen und haben vor allem kein Geld. Sie sind eigentlich nett
und höflich, aber das mir jemand so stark auf die Pelle rückt, bin
ich nicht gewöhnt. Ich tue das, was mir als einzig logisch
erscheint und sage, dass ich kein Geld hätte, der einzige mit Geld
sei der da vorne, Heinz.
Am Dienstag unterrichte ich bei den
älteren Kindern Mathe. Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet
und die Kinder bestimmt auch nicht. Allerdings meistern sie ihre
Aufgabe perfekt. Ruhig sitzen sie in ihren Bänken und hören auf
das, was die Lehrerin, oder später ich, sage. Kein Geschrei, kein
Rumgerenne, ja nicht einmal ein Zwischenruf durchbricht die
Lernatmosphäre. Dabei ist die Kleinste erst drei und wir sprechen
ja hier schließlich nicht in ihrer Muttersprache sondern in
Englisch. Wenn ich da so an unseren Englischunterricht denke…
Nein, das hier ist pure Disziplin, und dabei wurden, soweit ich das
beurteilen kann, keine nicht EU-Standard entsprechenden Lehrmethoden
angewandt.
Mir wird klar: Wir Deutschen sind
Luschen!
Mittags gibt es natürlich wieder
Essen. Alles hoch diszipliniert, in Reih und Glied. Reisbrei mit
Kartoffeln und Kohl. Ist echt nicht schlecht und bestimmt auch sehr
nahrhaft, aber mein Teller ist viel zu voll. Kurz bevor ich den
letzten Bissen in mich hinein gequält habe, lädt mir die Köchin,
mit einem strahlendem Lächeln, noch mal dieselbe Menge auf meinen
Teller. Unmöglich! "Papa, das schaffe ich nicht."
"Hau rein! Denk dran, das ist für die Kinder die einzige
Mahlzeit am Tag." "Ja, für sie vielleicht, aber ich war
schon vorher satt."
Den Mittwoch verbringen wir mit einer
Minisafari in den "Shimba Hills".
Dank unseres genialen Führers Thomas, der über übernatürliche
Kräfte verfügen muss, kriegen wir eine Menge an Elefanten und
andere Tiere zu sehen, die toll aussehen, ich mir aber ihre
komplizierten Namen nicht merken kann.
Nachmittags werde ich von Joshua, dem
Manager des Kindergartens und Gemeindevorsteher der hiesigen
Neuapostolischen Kirche, durch das einheimische Dorf geführt, aus
dem die meisten Kinder des Kindergartens stammen. Ich möchte und
kann die Eindrücke, die ich hier gesammelt habe, nicht beschreiben.
Nur soviel, es ist erbärmlich, ja geradezu unfassbar. Ich mache
keine Fotos, da es mir peinlich wäre. Zudem muss man dieses Elend
spüren, um es zumindest teilweise zu begreifen.
Am Donnerstag besuchen wir mit einem
englischen Ehepaar, das wir im Hotel kennen gelernt haben, den
Kindergarten. "Wie "süß" sind sie doch." Ja,
ich weiß!
Die Nacht verbringen wir, zur
Abwechslung mal, bei Heinz im Haus. Zu unserem Staunen, ruft er
dreimal die G4S herbei, da das Funk-Alarmsystem nicht richtig
funktioniert. Die G4S ist eine Security Einheit, die dafür
sorgt, dass die Hausbesitzer in dieser Gegend Nachts ruhig schlafen
können. Das Sondereinsatzkommando erscheint dann auch schon beim
"zweiten" Versuch, mit quietschenden Reifen, vor dem Tor.
Danach "ärgert" Heinz uns mit folgendem Quiz:
-
- Bilden sie aus den
fünf Streichhölzern eine funktionierende Gleichung, es darf dabei
nur ein Streichholz bewegt werden:
V I = I I Viel Glück!
Freitag heißt es dann schon wieder
Abschied nehmen. Ein letztes Mal schauen wir in die treuen Augen der
Kinder und schütteln wieder einmal Hände. Kurze Anmerkung noch zu
den "treuen Augen". Haben sie Shreck 2 gesehen, die Augen
des Katers, ja?
Da die Afrikaner viel mehr Wert auf
Höflichkeit und Förmlichkeit legen als wir Europäer, dauert das
Abschiednehmen etwas länger als ich dachte. Doch bald ist auch dies
geschafft. Wir sind ein wenig traurig über den Abschied, aber auch
zugleich erleichtert, wieder in eine Welt zu kommen, die uns doch
bekannter ist.
Den Samstag widmen wir dem Ausspannen,
während wir versuchen, die Erlebnisse dieser
"Bildungsreise" zu verarbeiten.
Sonntagmorgens um 04:30 soll unser
Bus zum Flughafen abfahren. Doch er kommt nicht. Wir wissen, dass
dies in Kenia kein Grund zur Aufregung ist, doch wir würden
trotzdem ganz gerne unseren Flug bekommen. Als es uns dann doch
etwas zu bunt wird, steigen wir einfach in einen Bus einer anderen
Fluggesellschaft ein. Doch bald ist der Bus voll und wir fliegen
auf. Doch wiederum keine Aufregung. Nach einigen Telefonaten wird
ein Taxi herbei gerufen, welches überraschend schnell erscheint.
Der immer wieder gähnende Fahrer steuert erst einmal eine
Tankstelle an. Nachdem der Tank voll, der Zeiger der Tankanzeige
aber immer noch auf "leer" verharrt, beginnt die rasante
Aufholjagd. Bei Regen, im Dunkeln, den großen Kratern in der
Straße ausweichend, heizt der Taxifahrer Richtung Flughafen. Durch
die Lichtkegel der anderen, ebenfalls im Zickzack fahrenden, Autos
geblendet, würde es wohl jedem Europäer schwer fallen die aus dem
Nichts kommenden Fußgänger zu orten und ihnen dann noch
erfolgreich auszuweichen. Nicht aber unserem afrikanischen
Schumacher. Er rast gelangweilt, hupend und Lichtzeichen gebend
weiter. Mein Daddy findet das nicht so toll. Ich habe mich
angeschnallt muss aber grinsen. In der Stadt wird es dann noch
einmal brenzlig, als eine rote Ampel naht, doch ein Weg über den
Bürgersteig ist schnell gefunden. Wiedererwartend erreichen wir
unverletzt und pünktlich aber ziemlich geschüttelt den Flughafen.
Nachdem wir das überlebt haben, brauche ich den Flug ja nicht mehr
zu erwähnen.
Tja, das war's! So ungefähr habe ich
Afrika erlebt. Als eine andere Welt. Einer Welt in der es zwar an
Geld und Unterstützung mangelt, nicht aber an Freude und Liebe. So
habe ich es empfunden. Doch jetzt bin ich zum Glück wieder in
Deutschland. Dem Land, dem es auch materiell gut geht. Nie zuvor
hatte ich eine bessere Vorstellung davon, wie schrecklich es sein
muss, ohne diese Priorität aufzuwachsen.
Sollte ihnen der obige Text wirr
erscheinen, oder ihnen das Beschriebene vollkommen unverständlich
sein, so möchte ich davon Abstand nehmen.
Ich werde hier stündlich, auch
nachts, voll gepumpt mit verschiedenen Medikamenten-Cocktails,
hänge fast die ganze Zeit am Tropf und morgens werde ich bei der
Visite teils betäubt.
Aber jetzt mal Spaß bei Seite. Das
hat ja hier auch alles seinen Sinn. Aufgrund der Medikamente habe
ich keine Schmerzen, alles unterliegt den höchsten
Hygienevorschriften, es gibt viel zu viel Essen direkt ans Bett,
Badezimmer gerade mal fünf Schritte entfernt, viele Besucher und
auf Knopfdruck innerhalb weniger Sekunden eine, mehr oder weniger,
hilfsbereite Schwester.
Warum schreibe ich das alles? Ich
versuche aufzuzeigen, wie gut es mir trotz meines Problems geht.
Mich fasziniert der Gedanke, was wäre, wenn Irgendjemand anders,
irgendwo auf der Welt, an derselben Krankheit erkrankt ohne
dieselben Hilfsmittel zur Verfügung zu haben, die mir zur
Verfügung stehen.
Da man ja aus allen Erlebnissen
Erfahrungen sammeln soll, hallte ich für mich fest:
1.
Alleine ist der Mensch gar nichts.
Ein Fingerschnippen von Gott und man findet sich in der
Notaufnahme wieder. Keiner kann sich den Lebensweg aussuchen.
Somit ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die den anderen bei
ihren Problemen helfen. Um zum Beispiel dem quasselnden
Bettnachbarn eine Valium zu verabreichen.
2. Wie froh ich darüber sein kann, dass
ich in Deutschland geboren bin. Das Glück habe, in so guten
materiellen Verhältnissen, mit so guten Freunden und einer so guten
Familie leben zu dürfen.
3.
Das man, sollte es einem gut gehen,
selbst zur Schwester oder zum helfenden Freund werden sollte. Damit
auch der nächste Patient seine zweite Milchpackung erhält.
"Denn das Hauptmerkmal des echten
Glücks ist doch, der innere Friede, durch das Bemühen, der
Anteilnahme an Anderen."
- (vgl. Dalai Lama "Das Buch der
Menschlichkeit")
Nikias Linder 31.08.2007
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- Mombasa Airport - die Ankunft...
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...gleich nach der Ankunft zur Kirche...
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- ... mit meinem Vater zusammen im Hotel...
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...der Mathe-Unterricht...
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... und zu essen gab es auch genug.
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